Demenz: Was steckt hinter dem psychobiografischen Pflegemodell?

21. August 2019

Im AGAPLESION OBERIN MARTHA KELLER HAUS staunen Besucher nicht schlecht über Hirschgeweihe und Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden. Was das mit dem psychobiografischen Pflegekonzept nach Böhm zu tun hat, konnten wir bei einem Besuch am Frankfurter Mühlberg erfahren.

Wer in der AGAPLESION TAGESPFLEGE im OBERIN MARTHA KELLER HAUS am Telefontischchen mit den Nippesfiguren links abbiegt, gelangt zum "Stammtisch"-Raum. In dessen Mitte steht ein massiver Holztisch mit rustikalen Lederstühlen. Darüber baumelt eine martialische Geweihlampe, an den Wänden hängen Poster von früheren Filmstars wie Liselotte Pulver. Was für junge Menschen wie ein Ausflug in Omas Jugend wirkt, hilft dementiell veränderten Menschen in der Tagespflege, sich in ihrem Zuhause auf Zeit wohlzufühlen.

Rückgriff auf frühe Bewältigungsstrategien

"Wir setzen hier in der Tagespflege und in unserem Demenzwohnbereich Willemer Haus bewusst auf kleinteilige Strukturen mit den Möbeln und Accessoires aus der Kindheit und Jugend unserer Gäste", erklärt die Leiterin der Tagespflege, Birgit Ahrens. Ihr Arbeitsbereich ist nach dem psychobiografischen Pflegekonzept des österreichischen Pflegewissenschaftlers Erwin Böhm gestaltet. Dieses geht beispielsweise von erlernten Problembewältigungsstrategien, sogenannten Copings aus: "Nach Böhm entwickeln wir sie in der Zeit des Aufwachsens, eine der ersten ist das Schreien. Demente Menschen greifen auf frühe Bewältigungsstrategien zurück. Daher kommen sie uns oft wie Kinder vor und fühlen sich in der Umgebung ihrer Kindheit auch sicherer", erzählt Birgit Ahrens.

In Erwin Böhms Modell spielt alles, was die Biografie eines einzelnen Menschen einst prägte, eine große Rolle: Einige Bereiche des Hauses wirken wie Zeitkapseln aus den Nachkriegsjahren – etwa der große Gemeinschaftsraum mit Tapeten im Retro-Design und plüschigen Stehlampen. In dieser Geborgenheit können die Bewohner wunderbar "Snoezelen", also sich in Liegestühle einkuscheln und gemeinsam ein Nickerchen machen. Wer Lust auf Aktivitäten hat, wählt zwischen Zeitungsrunden, Singen, Gesellschaftsspielen, Gedächtnisübungen, Handarbeiten, Basteln oder Gymnastik. Insgesamt werden bis zu zwanzig Gäste in der Tagespflege betreut – manche kommen nur einmal in der Woche, manche an bis zu fünf Tagen. Sie erleben am Tag einige Stunden in Gemeinschaft und kehren am späten Nachmittag in ihre Wohnungen zurück – so können sie lange wie möglich ihre Selbstständigkeit bewahren.

Blick in die Biografie der Bewohner

Die wichtigste Regel im nach Böhm gestalteten Haus lautet: Ein Wohlgefühl soll vermittelt werden. Vermeintliche Defizite der Bewohner werden nicht aufgedeckt oder gerügt. Niemand soll sich schlecht fühlen, weil er oder sie Dinge verwechselt oder nicht mehr leisten kann. Birgit Ahrens nennt dazu ein Beispiel: "Angenommen ein Bewohner schmiert beim Frühstück die Butter auf sein Namensschild statt auf das Brötchen. Wir sagen dann nicht, dass das falsch ist, sondern tauschen das Schild gegen eine Brötchenhälfte aus. Wir bringen die Dinge in Ordnung, ohne den Bewohnern ein schlechtes Gefühl zu geben."

Im Gegenteil: Teil des psychobiografischen Pflegekonzepts von Erwin Böhm ist es, dass sich jeder Bewohner einmal am Tag 'wichtig' fühlen soll. Wenn eine Bewohnerin oder ein Bewohner neu aufgenommen wird, sprechen Birgit Ahrens und ihre Kolleginnen und Kollegen daher auch mit den Angehörigen und fragen: Was macht diese Person wichtig? Auch der frühere Beruf, Hobbys oder persönliche Schicksale werden dazu erforscht – und die Frage, ob man eine Familie gegründet hat. "Einer Bewohnerin mit Kindern sagen wir dann beispielsweise immer mal wieder, dass es eine tolle Leistung war, diese großzuziehen. Das reicht manchmal schon, um sie aufzubauen und ihr zu zeigen, wie wichtig sie ist. Das positive Gefühl bleibt dann eine Zeit, auch wenn es kognitiv nicht mehr nachvollzogen werden kann", ist Birgit Ahrens fest überzeugt.


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