23. Oktober 2022
Ja, bei vielen Patientinnen und Patienten ist oder wird sie es. Dabei handelt es sich dabei nicht um eine banale Erkältung, die man ganzjährig bekommen kann, sondern um eine häufig schwer und mitunter komplikativ verlaufende Erkrankung mit längerer Genesungszeit. Das Robert-Koch-Institut (RKI) geht davon aus, dass jährlich etwa 12.000 Menschen in Deutschland an den Folgen einer Virusgrippe sterben, etwa vier Mal mehr, als es Verkehrstote gibt. Alle drei bis fünf Jahre gibt es noch deutlich mehr Grippetote mit einer Übersterblichkeit bis zu 25.000 Menschen in der Saison. Meist sind es ältere Patientinnen und Patienten, aber auch jüngere Menschen mit chronischen Erkrankungen und Schwangere sind stärker gefährdet. Im Verlauf einer Influenza kann es zu einer schweren Lungenentzündung kommen, die auch tödlich enden kann. Patientinnen und Patienten mit einer Koronaren Herzerkrankung haben während einer Grippeerkrankung ein etwa 2000-fach erhöhtes Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden.
Die Corona-Pandemie ist ein weiterer Grund, sich auch gegen Influenza und –sofern indiziert – auch gegen Pneumokokken impfen zu lassen. Die STIKO empfiehlt, alle ab 60 und jüngere Risikopatientinnen und -patienten gegen alle beimpfbaren Atemwegserkrankungen zu vakzinieren. Dazu gehört auch ein Schutz gegen Pertussis (Keuchhusten) beim Erwachsenen, weil hiergegen keine lebenslange Immunität aufgebaut wird. Der Pertussis-Schutz sollte mit einer regulären Tetanus- und Diphterie-Impfung aufgefrischt werden.
Ohne Maskenpflicht in Innenräumen und bei Großveranstaltungen könnte ab Dezember/Januar die Virusgrippe ein leichtes Spiel haben, nach 2017 wieder eine schwere Welle auszulösen. Zu befürchten sind deutlich mehr schwere Verläufe und Todesfälle, wenn es zu Parallelinfektionen mit SARS-CoV-2 und Influenza-Viren kommt. Neben dem Tragen von medizinischen Masken kann man mit Impfungen gegen beide Erkrankungen das Risiko für sich deutlich vermindern. Die Impfungen gegen Covid-19 und Influenza können zeitgleich durchgeführt werden.
Grundsätzlich werden tetravalente Totimpfstoffe eingesetzt, d.h. es wird gegen vier Virusstämme ohne vermehrungsfähige Viren geimpft. Man benutzt Teile der Virushülle ohne die Erbinformation des Virus, damit das menschliche Immunsystem gegen diese Virusvarianten Antikörper bilden kann und im Infektfalle geschützt ist. Ab 60 Jahre kann erstmals in dieser Saison ein spezieller Grippeimpfstoff gegeben werden, der deutlich höher dosiert ist. Dass soll die Immunantwort verbessern, weil diese im Alter nachlässt. Welchen Impfstoff man bekommt, entscheidet die Impfärztin oder der Impfarzt mit Ihnen unter Berücksichtigung dessen, was Ihre Krankenversicherung zulässt.
Die Ständige Impfkommission (STIKO), eine Runde aus Expertinnen und Experten im RKI, empfiehlt eine jährliche Impfung für alle Personen ab 60 Jahre, für Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen und zu deren Schutz auch für die häuslichen Angehörigen. Ganz wichtig sind hier insbesondere Patientinnen und Patienten, bei denen das Immunsystem durch eine Erkrankung oder Therapie beeinträchtigt ist (onkologische und immunsuppressive Therapie).
Weiterhin sollten Schwangere ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel geimpft werden, da eine Influenza hier schwer mit Gefährdung für Mutter und Kind verlaufen kann. Da sich die Grippe in Alten- und Pflegeheimen sehr schnell ausbreiten und zu vielen Todesfällen führen kann, sollten alle Bewohnerinnen und Bewohner jährlich geimpft werden. Personen mit Publikumsverkehr oder ständigem Kontakt zu Geflügel oder Wildvögeln wird ebenfalls die Impfung empfohlen.
Ganz wichtig ist medizinisches Personal: Geimpftes ärztliches und pflegendes Personal schützt nicht nur sich, sondern auch die ihnen anvertrauten Patientinnen und Patienten. Da muss man sich seiner Verantwortung bewusst sein: Wer Patientinnen und Patienten mit Influenza ansteckt, gefährdet sie schwer. Und wenn Influenza-bedingt viele ungeimpfte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausfallen, ist die medizinische Versorgung gefährdet. Dazu kommt der notwendige Eigenschutz, da medizinisches Personal deutlich häufiger mit Grippekranken Kontakt hat und somit eine höhere Infektionsgefährdung aufweist.
Der aktuelle Impfstoff steht meist ab September zur Verfügung. Bis Mitte Dezember sollte optimalerweise geimpft sein, da man etwa 10-14 Tage braucht, um Impfschutz aufzubauen. Die Grippesaison beginnt in unseren Breiten meist Ende Dezember/Anfang Januar und endet in der Regel im März, manchmal auch im April. Man ist durch die Impfung für mindestens sechs Monate weitestgehend vor einer Influenza-Infektion geschützt. Sollte man die Impfung verpasst haben, ist es auch während der laufenden Grippesaison noch sinnvoll, sich impfen zu lassen, solange die Erkrankungszahlen noch nicht rückläufig sind. Hierzu stellt das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) stets aktualisierte Informationen zur Verfügung.
Die Impfstoffzusammensetzung verändert sich ständig. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) legt aus den Erfahrungen des ersten Halbjahres mit der Grippe in Asien fest, von welchen Virenstämmen aktuell die meiste Gefährdung ausgeht. Derzeit beinhalten die Standardimpfstoffe je zwei Influenza-A- und B-Stämme, gegen die das Immunsystem dann Antikörper aufbauen kann.
Im Winter 2021/22 gab es wegen der Maskenpflicht und der Abstandsregeln kaum Influenza-Fälle, daher war es für die WHO diesmal schwierig, die diesjährige Impfstoffzusammensetzung zu bestimmen, weil man dadurch nicht genau wissen kann, welche Influenzastämme bei uns ab Ende Dezember/Anfang Januar zum Tragen kommen. Das spricht aber keineswegs gegen eine Grippeimpfung, denn ohne hat man gar keinen spezifischen Schutz. Man hat zudem gesehen, dass regelmäßig jährlich gegen Influenza geimpfte Patientinnen und Patienten einen insgesamt besseren Schutz gegen Grippeinfektionen aufbauen.
Man geht von einem Impfschutz um 70 Prozent aus. Sogenannte Impfdurchbrüche (Erkrankung trotz Impfung) können vorkommen - wie bei jeder anderen Impfung auch. Häufig handelt es sich bei Infekten dann aber um andere Erreger als Auslöser, gegen die nicht geimpft werden kann. Manchmal verändern sich auch Influenzaviren in ihrer Struktur während der Saison, so dass der Impfstoff nicht mehr so gut schützen kann. Aber das ist eher eine Ausnahme und nicht der Regelfall - somit kein Grund, auf den Impfschutz zu verzichten.
Moderne Imfpstoffe, auch die Grippeimpfung, sind sehr sicher. Wir haben in meiner Praxis bei hunderten von Impfungen pro Jahr seit über einem Jahrzehnt keine relevante Nebenwirkung mehr gesehen. Die gute Verträglichkeit gilt grundsätzlich auch für die Parallelimpfung gegen Influenza und Covid-19.
Das Immunsystem setzt sich natürlich mit der Impfung auseinander: Einer von Zehn bekommt eine Rötung oder Schwellung an der Einstichstelle, dann kann man lokal kühlen. Einer von 100 fühlt sich nach etwa zwei Tagen wie bei einem beginnenden Infekt; meist geht das rasch wieder weg oder man kann etwas Paracetamol dagegen einnehmen. Etwa einer von 500.000 muss mit einer Nerven- oder Gefäßentzündung rechnen, die im Einzelfall auch mal schwerwiegender und behandlungspflichtig verlaufen kann. Allergische Reaktionen sind immer möglich. Aber durch die inzwischen hohe Reinheit der Grippeimpfstoffe werden selbst bei Hühnereiweißallergie in kontrollierten Studien kaum mehr Reaktionen gegen die Influenza-Impfstoffe gesehen.
Die häufig selbst bei Fachpersonal vorhandenen Bedenken gegen die Grippeimpfung haben keine rationale Grundlage. Der bei Erwachsenen verwendete Totimpfstoff kann keine Influenza-Erkrankung auslösen. Während leichterer Atemwegsinfekte darf geimpft werden, solange keine Körpertemperatur über 38*C besteht, weil ansonsten die Impfantwort des Immunsystems zu schwach sein kann. Auch die Einnahme von Gerinnungshemmern („Blutverdünner“) stellt keine Gegenanzeige für eine Impfung dar.
Die Nutzen-Risiko-Abwägung spricht ganz klar für die Durchführung der Impfung: Vergleichsweise hoher Schutz bei sehr geringem Risiko. Ich empfehle allen Risikogruppen, insbesondere auch dem medizinischen Personal, sich gegen die Virusgrippe impfen zu lassen, ggf. zusammen mit einem Booster gegen Covid-19.